Zu der individualisierten Behandlung des Lungenkrebses gehören auch die präzise Risikoabschätzung vor der Lungenoperation und sorgfältige Indikationsstellung, welche für die gebrechlichen Patientinnen und Patienten sowie die mit eingeschränkter Lungenfunktion besonders wichtig ist. Mir ist es sehr wichtig, dass den operablen Patientinnen und Patienten nicht durch Fehleinschätzung von einer potenziell krebsheilenden Lungenresektion abgeraten wird. Zugleich sollen aber diejenigen, bei denen das Komplikationsrisiko für eine Lungenoperation inakzeptal hoch ist, zügig nicht-chirurgische Therapie erhalten.

Der aktuellste Algorithmus zur präoperativen Risikoabschätzung erschien 2013 in der Leitlinie des American College of Chest Physicians (ACCP). Die Grundlage für diese Leitlinie wird von 3 Parametern bzw. Prädiktoren gebildet: die 1-Sekunde-Kapazität, sogenannte FEV1, und die Diffusionskapazität, nämlich DLCO. Weil das Ausmaß der Lungenresektion ebenfalls wesentlichen Einfluss auf Komplikationsrisiko ausübt, werden häufig die postoperativ zu erwartenden FEV1 und DLCO für die Risikoabschätzung ermittelt. Wir nennen sie ppoFEV1 bzw. ppoDLCO. Noch ein bedeutsamer Prädiktor ist die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max), welche mit der aufwendigen Spiroergometrie bestimmt wird. Mit diesen 3 Prädiktoren wird ein mehrstufiges Vorgehen bei der Risikoabschätzung empfohlen [1].
Die ACCP -Leitlinie ist praktisch und einfach handzuhaben, weist aber einige relevanten Limitationen auf. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass sie ausschließlich auf klinischen Daten zur konventionellen, offenen Lungenresektion basieren. Aber die Etablierung der minimal-invasiven bzw. VATS Lobektomie (Entfernung von Lungenlappen) ist die wichtigste Entwicklung der Thoraxchirurgie in den letzten 20 Jahren. Gegenüber den offenen Eingriffen ist VATS Lobektomie mit einem deutlich reduzierten Komplikationsrisiko verbunden. Vor diesem Hintergrund ist die Frage seit Jahren unbeantwortet, ob die aktuellen Leitlinien überhaupt für minimal-invasive Lobektomie gelten können.
In einer früheren wissenschaftlichen Arbeit habe ich mit prospektiven klinischen Daten aus der University of Chicago die Vorhersagekraft von ppoFEV1 und ppoDLCO untersucht. Dabei fand ich erstmalig heraus, dass die beiden Parameter nicht nur für konventionelle sondern auch für VATS Lobektomie prädiktiv sind. Daraus wird deutlich, dass die aktuellen Leitlinien grundsätzlich auch für die Risikoabschätzung vor einer VATS Lobektomie geeignet sind [2].
Insgesamt betrachtet bieten derartige Algorithmen noch keine präzise Risikostratifizierung an. Hierfür müssen wesentlich mehr Prädiktoren berücksichtigt werden. In den letzten Jahren habe ich mit soliden klinischen Daten und modernen Analyseverfahren einige neuen Prädiktoren für postoperative Komplikationen nach VATS Lobektomie identifiziert. Ein davon ist die ASA-Klassifikation (American Society of Anesthesiologists Physical Status Classification), die ein weit verbreitetes Klassifikationssystem zur Beurteilung des gesamten Gesundheitszustands der Patienten darstellt. Mit Propensity-Score-Analysen habe ich erstmalig nahegelegt, dass ASA ein unabhängier Prädiktor für die Komplikationen nach VATS-Lobektomie ist [3,4]. Eine andere Arbeit von mir untersuchte den Einfluss der Nebenerkrankungen auf das Komplikationsrisiko für VATS Lobektomie. Dabei wurde herausgefunden, dass eine höhere Komorbiditätslast nicht mit erhöhtem Risiko für postoperative Komplikationen nach VATS Lobektomie einhergeht [5]. Als ein weiterer, neuer Prädiktor gilt die Laktat-Dehydrogenase bzw. LDH. Unsere Untersuchung hat erstmalig einen kausalen Zusammenhang zwischen Serum-LDH und Komplikaitonsrisiko einer VATS Lobektomie nachgewiesen [6].
Referenzen
- Brunelli A, et al. Physiologic evaluation of the patient with lung cancer being considered for resectional surgery: Diagnosis and management of lung cancer, 3rd ed: American College of Chest Physicians evidence-based clinical practice guidelines. Chest. 2013;143:e166S-90S.
- Zhang R, et a. Lung Function Predicts Pulmonary Complications Regardless of the Surgical Approach. Ann Thorac Surg. 2015;99:1761-7
- Zhang R, et al. Refined Risk Stratification for Thoracoscopic Lobectomy or Segmentectomy. J Thorac Dis. 2019;11:222-230
- Zhang R, et al. American Society of Anesthesiologists Physical Status Facilitates Risk Stratification of Elderly Patients Undergoing Thoracoscopic Lobectomy. Eur J Cardio-thorac Surg 2018;53:973-979.
- Zhang R, et al. Impact of Comorbidity Burden on Morbidity Following Thoracoscopic Lobectomy: A Propensity-matched Analysis. J Thorac Dis. 2018;10:1806-14.
- Zhang R, et al. Preoperative Serum Lactate Dehydrogenase Level as a Predictor of Major Complications Following Thoracoscopic Lobectomy: A Propensity-Adjusted Analysis. Eur J Cardiothorac Surg. 2019;56:294–300.